Carnegie Mellon University

Die Zukunft des Ostens
The East’s Future

Daniel Ekern
Carnegie Mellon University – German Studies 

Science-Fiction ist eine sehr besondere Gattung der Literaturwelt. Diese Gattung kümmert sich meistens um ein Hauptthema, und zwar die Zukunft, in jeder möglichen Umsetzung. Doch die Zukunft existiert noch nicht. Sie ist kein echter Ort, zu dem man reisen und den man genau beschreiben konnte. Sie muss erfunden werden. Man könnte vielleicht die aktuellen Richtungen sehen und davon extrapolieren, aber diese Methode ist keineswegs sicher. In diesem Sinn beschreiben den Schriftsteller, Regisseure, und andere Künstler der Science-Fiction keine Zukunft, sondern die Gegenwart, in der sie schreiben oder drehen oder Kunst machen (Fritzche 14).

Diese Zukunft muss genauso im Osten als im Westen erfunden werden. In diesen Regionen wird auf keinen Fall die gleiche Zukunft erfunden, sondern benachbarten Zukünfte, die eine aus dem Kapitalismus und die andere aus dem Sozialismus. Die Science-Fiction der DDR ist also eine sehr interessante Untersuchungsallee, weil die DDR direkt an dem Westen grenzt. In diesem Aufsatz versuche ich verschiedene Besonderheiten der DDR-Science-Fiction durch den Film Im Staub der Sterne (1976) und die Kurzerzähling „Das Denkmal“ aus der Sammlung Saiäns-Fiktschen (1982) von Franz Fühmann zu erklären, um zu zeigen, wie diese Werke ihre Zukunft (d.h., ihre Gegenwart) interpretierten.

In seiner Dissertation Die Science-Fiction-Literatur der DDR schreibt Karsten Greve, dass Science-Fiction eine schwere Gattung zu begreifen ist. „Was der SF eigentümlich ist, scheint relativ schwer greifbar zu sein. SF – das scheint eine diffusere Gruppe zu sein als die Bürgerlichen Trauerspiele oder die Kriminalromane,“ (Greve 16). Obwohl es relativ einfach ist, „ein gutes Dutzend Beispiele für SF aus Literatur und Film aufzuzählen,“ sind die genauen Elemente der Science-Fiction rutschiger. Als Antwort zitiert Greve die Schriftsteller Pehlke und Ligfeld, die sagten, dass „‘Zur Science-Fiction zu rechnen [ist], was die Verlage unter diesem Namen auf den Markt werfen‘,“ (Greve 16).

Trotz dieser schweren Definition ist es möglich, besondere Aspekte der Gattung zu bestimmen. Werner Förster definierte manche dieser Aspekte in seinem 1984 veröffentlichten Aufsatz „Time Travelling into the Present: Science Fiction Literature in the GDR“. Förster teilt die Science-Fiction der DDR in drei Varianten ab. Diese Varianten, die „während des letzten Jahrzehntes sich entwickelt haben,“ (also während der 70er Jahre) sind Geschichten, die mögliche Entwicklungen der aktuellen Technologie und Wissenschaft simulieren, Geschichten, die mögliche Probleme dieser Entwicklungen, „z.B. Physik-Philosophie, Genetik-Ethik, Moralität, Menschengeschlecht-Natur,“ (Förster 72, meine Übersetzung) untersuchen, und Geschichten, die aktuelle Zustände zu Science-Fiction Parabeln verändern. Man kann dadurch merken, dass DDR-Science-Fiction „usually does not debate the problems of the future, but rather examines questions pertaining to our particular situation, and our responsibilities toward the present and past, and toward humanity in general,“ (Förster 72).

Dieses Interesse der DDR-Science-Fiction an Problemen der Gegenwart scheint in dem 1976 gedrehten Film Im Staub der Sterne durch. Einer der sechs Science-Fiction Filme, die die Deutsche Film Aktiengesellschaft (DEFA) produzierte (Fritzche 15), ist Im Staub der Sterne ein merkwürdiges Artefakt der DDR-Science-Fiction. Der Film behandelt Themen wie Kolonisierung, Ausbeutung und die Verantwortung, die fortgeschrittene Länder für unterdrückte Menschen haben.

Das Handlungsgerüst des Filmes ist relativ einfach: eine Gruppe Kosmonauten aus dem Planet Cynro sind zu dem Planet TEM 4 wegen eines Hilferufs gekommen. Sie erwarten einen Willkommen, aber die scheinbare Bevölkerung des Planeten, die Temer, sagen, dass sie keinen Hilferuf gesendet haben, und die Kosmonauten sollen wieder zurückfliegen. Die Kosmonauten zuerst haben es Verdacht. Nach einer Feier, in der sie hypnotisiert werden, sie wollen plötzlich TEM 4 verlassen. Nur ein einziger Kosmonaut, der auf dem Raumschiff während der Feier hinterblieb, hat Verdacht. Er erkundet den Planeten und findet eine Bergwerk, in dem die kolonisierten Ureinwohner TEM 4s, die Turi, arbeiten müssen, um ein wertvolles Mineral aus der Erde zu ziehen. Da das Geheimnis herausgefunden ist, versuchen die Temer das Raumschiff der Kosmonauten zu überfluten, und sie benutzten die Turis dafür. Die Turis rebellieren und stürzen die Temer, aber einer der Kosmonauten wird getötet und die Kommandantin muss zurückblieben. Sie wird von der Turis als Göttin verehrt.

Wenn wir Försters drei Varianten der DDR-Science-Fiction benutzen, steckt dieser Film in der dritten Variante, der die aktuellen Zustände zu „Parabeln oder Groteske“ bearbeiten. Die Technologie im Film ist gar nicht der Fokus. Es gibt ein Raumschiff und exotische Waffen, und die Leute auf TEM 4 essen und trinken nur durch verschiede Sorten von Spraydosen, aber der Hauptkonflikt des Filmes hat keinen technologischen Grund, sondern einen menschlichen.

Dieser Film ist ganz klar eine Parabel der Kolonisierung und der Ausbeutung eines kolonisierten Volkes. Die Temer, die Herren des Planeten, sehen ähnlich wie die Kosmonauten aus. Das heißt, sie haben eine bleichere Hauptfarbe und tragen farbige Kleider aus Leder oder Kunststoff. Die Turis, die unterdrückte Rasse, sehen mehr wie Türken oder Nordafrikaner aus, mit einer dunkleren Hautfarbe und lockigen Haaren, und sie tragen Klamotten aus schmutziger brauner Baumwolle. Sie leben ohne Freiheit oder Luxus, während die Unterdrücker ihre schönen, bunten Kleider, verschwenderischen Feiern und Gärten auf einem Planet genießen, dass fast nur eine Wüste ist.

Die Kosmonauten sind doch keinen großen Retter. Als sie lernten, dass es eine Menge Sklaven gab, wollten manche der Kosmonauten wieder nach Hause fliegen. Sie sagten, wenn sie die Turis gerettet haben, werden einfach mehr Temer nach TEM 4 fliegen, und die Heimat der Kosmonauten wird in einen Krieg hineingestürzt. Der Film präsentiert also ein übertriebenes Beispiel des aktuellen Kolonialismus, und die mögliche Lösung dafür. Diese Lösung ist, in Wörtern einer der Gefangenen, „Gebt uns Waffen! Zusammen könnten wir sie von unserem Planeten werfen!“

In Kontrast zu der einfachen Parabel von Im Staub der Sterne ist die Kurzgeschichte „Das Denkmal“ aus der 1982 erschienenen Sammlung Saiäns-Fiktschen von Frans Fühmann. Fühmann wollte gar keine Science-Fiction-Schriftsteller sein, und in seinem Vorwort schreibt er: „Auf die gewißlich zu erwartende Frage eines künftigen Lesers, ob ich weiterhin SAIÄNS-FIKTSCHEN schreiben werde, antworte ich ohne Zögern mit Nein!“ (Fühmann 7). Aber in diesen Geschichten könnte er „mit neuen erzählerischen Methoden experimentieren,“ (Fritzche 28, meine Übersetzung). „Das Denkmal“ ist auch eine Parabel, aber sie handelt nicht von Kolonisierung, sondern von schlechten Auswirkungen der staatlichen Kontrolle auf eine Bevölkerung.

Diese Geschichte handelt von einer Fabrik in einem Land, das Libroterr heißt. Der Protagonist Jirro, der ein „Diplomneutrinologe“ aus dem Land Uniterr ist, macht eine Austauschprogramm in Libroterr, wo er den ganzen Prozess des Aufbaus erfährt. Die Fabrik ist ein großer, weißer Quader hoch an einem Berg, „auf einer Platte reinen Siliziums lagernd,“ (Fühmann 65) und nimmt täglich reines Gletscherwasser auf, aber sie „produzierte recht eigentlich nichts,“ (Fühmann 66). Der Besitzer dieser Fabrik, der M. C. Ascher II. (bestimmt ein Witz) heißt, ist der Sohn eines Flipperherstellers und „von Kindheit an derart mechanikbesessen, daß er eher als Lesen und Schreiben die Gesetze von An- und Abprall beherrschte.“ Er will eine Art Flipper in die Mikrobezirke bauen, aber er wird langsam von den physikalischen Gesetzen besessen, und zwar von der Frage „Wer gab denn Gesetze: der Mensch oder Natur?“ (Fühmann 67). Also baut Ascher seine Fabrik, mit vielen technischen Wundern wie „eine purgoldene Möbiusschleife“ oder „ein Sieb aus Anti-Materie,“ (Fühmann 70), um jedes Atom aus reinem Wasser zu ordnen. Dieses Ziel erreicht er, aber ironischerweise ist dieses klare Wasser zu „einer grauen, schleimigen Brühe [geworden]…frei von jeglicher Fremdbestimmung, für menschlichen Genuß und menschliche Nutzung vollkommen unbrauchbar,“ (Fühmann 77).

„Das Denkmal“ ist eine oberflächlich getarnte Kritik an der DDR Regierung. Die Fabrik M.C. Asher II.s, die in „Libroterr“, oder „Freiheitsland“ gebaut wird, ist trotzdem „ein Denkmal für Uniterr,“ (Fühmann 65), oder „Einheitsland“. Jirro kann das fremde Libroterr nicht fassen. Es ist ein Land, in dem „einerseits, von niemand gehindert, Wahnsinnsprojekten sich hingeben konnte, ja offenbar Wahnsinniger bedurfte…und andrerseits Leistungen erzielte, die, verglichen mit Uniterrs Kümmerlichkeiten, [Jirro] einfach überwältigten,“ (Führmann 73). Uniterr wird wie die DDR dargestellt. Es ist ein armes Land, wo es viele Bürokraten gibt, die Wissenschaftler wie Jirro für ihre Karriereziele benutzen. Die Kritik liegt eher in der Hauptironie dieser Geschichte, dass man überhaupt Atomen ordnen kann oder will, und durch diese Ordnung wird die Welt verändert. Die Worte, die den Grundwert von M.C. Asher II. formen, sind „ES WERDE ORDNUNG! ES WERDE REINHEIT! DIE WAHRE ÄRA DES ALLS BEGINNT!“ (Fühmann 76). Was er schafft ist doch „für menschlichen Genuß und menschliche Nutzung vollkommen unbrauchbar zu sein,“ (Führmann 77), also wird das Projekt der DDR, um alle „Fremdbestimmung“ aufzulösen, auch für menschlichen Genuss vollkommen unbrauchbar sein.

Science-Fiction in der DDR war also eine Möglichkeit, Aspekte der Gegenwart zu kritisieren. Diese Kritik war nach außen, im Fall von Im Staub der Sterne, oder nach beiden Seiten, im Fall von „Das Denkmal“ gerichtet, aber durch das Glas von fremden Planeten konnten Schriftstellern] und Regisseure die Welt von außen zeigen. Die Science-Fiction der DDR inspirierte viele Leute, die Fan-Clubs hervorbrachten, und jedes Mittel dieser Gattung miteinander teilten. Die Werke der DDR-Science-Fiction sind wichtig nicht nur für ihren Blick an die aktuellen Zustände der Zeit, sondern auch für ihre Versuche, neue Welten vorzustellen. Die DDR existiert heute nicht mehr, aber in den fremden Welten dieser Werke lebt der Sinn des Zeitalters immer noch.